Heilpraxis für Osteopathie Kirstin Ziller

Faszien – Faszination in Bildern

Mitte 2016 erschien das Buch “Faszien – Architektur des Menschlichen Fasziengewebes” von Jean-Claude Guimberteau und Colin Armstrong im KVM – Medizinverlag, eine “endoskopische Betrachtung des lebendigen Fasziengewebes mit 400 Abbildungen und 90 einzigartigen Videosequenzen”. Weil es mittlerweile eines meiner medizinischen Lieblingsbücher ist, möchte ich es hier vorstellen.

 

Die Autoren

Jean-Claude Guimberteau ist französischer Forscher und Handchirurg und beschäftigt sich u.a. seit Jahren mit der Struktur und Funktion der Gewebeschichten des Körpers und deren Darstellung am lebenden Körper. Er war der erste Wissenschaftler, der die Faszien in Bildern zeigen konnte, indem er während Operationen mit einem speziellen Endoskop Aufnahmen anfertigte. Er  konnte somit nachweisen, dass sie nicht nur, wie bisher in Anatomiebüchern vermittelt und an Universitäten gelehrt, Ummantelungen von Muskulatur darstellen oder sehnenartige Platten sind, sondern sich in Form des Bindegewebes als fibrilläre pyramidenförmige Struktur durch alle Körperebenen ziehen. Sein Co-Autor, Colin Armstrong, ist ein in Frankreich praktizierender Osteopath.

Faszien in der klassischen Osteopathie

Für Osteopathen sind Faszien die Autobahnen des Körpers, die Vermittler vielseitiger Informationen, auch Überträger von Spannungen und Störungen. Daher ist die Arbeit mit den Faszien ein wichtiger Bestandteil jeder osteopathischen Behandlung. Schon der Begründer der Osteopathie, Andrew Taylor Still, schrieb 1899 in seiner “Philosophy of Osteopathy” darüber: “Wenn man mit den Faszien arbeitet, behandelt man die Zweigstellen des Gehirns und nach den allgemeinen Geschäftsregeln haben die Zweigstellen gewöhnlich die gleichen Eigenschaften wie die Zentrale. Also warum sollte man die Faszien nicht mit dem gleichen Maß an Respekt behandeln wie das Gehirn selbst.” und weiter: “Die Seele des Menschen mit all ihren Strömen puren Lebenssaftes scheint in den Faszien des Körpers zu fließen (…). Ich kenne keinen Teil des Körpers, der es den Faszien als Forschungsfeld gleich tun kann. Ich glaube, dass sich beim Studium der Faszien mehr reichhaltige und goldene Einsichten auftun werden, als bei irgend einem anderen Aspekt des Körpers.”

Sich darauf beziehend beschrieb einer meiner Lehrer, Serge Paoletti D.O., in seinem Standardwerk “Faszien” schon die herausragende Vermittlerfunktion der Faszien im Körper. In “Anatomy Trains” von Tom Myers werden die Faszien als dreidimensinale Myofsasziale Leitbahnen bezeichnet. Damit hatte ich für meine osteopathische Arbeit bisher modellhafte Bilder für Faszien vor Augen, prominentestes Beispiel findet sich in dem vom Architekten Richard Buckminster Fuller 1975 erstmals beschriebenen Tensegrity-Modell, Vorbild z.B. der Bau-Bionischen Architektur. Das Tensegrity-Modell beschreibt ein selbsttragendes stabiles Konstrukt, das durch ganzheitliche ausgeglichene Druck- und Zugbedingungen von außen einwirkende Kräfte ableiten kann und trotzdem seine eigene Form bewahrt. Wir kennen es von diversen Kinderspielzeugen nach dem Vorbild der Figuren von Kenneth Snelson.

Die Faszien als dreidimensionale fibrilläre Gewebekontinuität halten unseren Körper zusammen

Jean-Claude Guimberteau und Colin Armstrong liefern uns nun auch die Bilder dazu. In ihrem Buch, das in deutscher und englischer Sprache erschien, werden eindrucksvoll die faszialen Leitbahnen verschiedener Körperstrukturen gezeigt. Eine ergänzende CD zeigt die entsprechenden Filme. Deutlich wird, dass unser Bindegewebe in seiner dreidimensionalen feinnetzigen Struktur als “fibrilläre Gewebekontinuität “die Stütz- und Vermittlerfunktion zwischen allen Ebenen übernimmt. Guimberteau nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise der Faszien durch alle Gewebeschichten wie Haut, Fettgewebe, Knochen, Muskeln, Sehnen,  Lymphe, Nerven, Gefäße, Zellen, die allesamt von einem “feuchten, transparenten Schleier aus Bindegewebe” umgeben sind. Er zeigt Beispiele für die Mobilität und Anpassungsfähigkeit des fibrillären Fasziengewebes und erklärt sie umfassend.

Wenn landläufig von faszialen “Verklebungen” gesprochen wird, schenken uns Guimberteau  und Armstrong in Ihrem Buch die Bilder und deren physiologische Erläuterungen dazu. In einem großen Kapitel zeigen sie Bilder von Narbengewebe und Verklebungen nach Operationen und bei Krankheitsbildern wie Morbus Sudeck, Carpaltunnelsyndrom, nach osteosynthetischer Versorgung mit einer Platte, Bursitis, Tendinitis, Sehnenscheidenentzündung, posttraumatische oder postoperative Ödeme, Hämatome, Entzündungen, Gewichtsverlust, Fettleibigkeit, Alterungsbedingte Prozesse. Und es wird gezeigt, welche sichtbare mechanische Verbesserung durch frühzeitige Mobilisierung des Fasziengewebes durch dreidimensionale Manipulation z.B. vom Osteopathen zu erzielen ist.

Verständliche und spannende Texte zum Thema der Faszien

In dem Buch kommen neben den beiden Autoren auch führende Wissenschaftler und Osteopathen zu Wort wie Jean-Pierre Barral, DO; Leon Chaitow, ND, DO; Kenzo Kase, DC (Begründer des Kinesio-Taping); Stephen M. Levin, BS, MD; Tom Myers, LMT; Robert Schleip, PhD, MA. Sie kommentieren die Bilder und die Arbeit der Autoren und geben ergänzende praktische Beispiele aus ihrer Arbeit.

Ansichtsexemplar in der Heilpraxis für Osteopathie Kirstin Ziller

Ich bin froh, dass endlich dieses Buch über Faszien erschienen ist, nachdem ich Guimberteau und seine Arbeit vor einigen Jahren auf einem Kongreß kennenlernen durfte. Seine Bilder und deren wissenschaftliche Erläuterungen sind sehr schön in diesem wunderbaren Buch zusammengefaßt. Damit kann ich die Funktionsweise von Faszien zB. nach osteopathischer Behandlung, durch Faszienmobilisationstechniken oder selbständiges Training mit der Faszienrolle sehr gut erläutern.

Auf youtube gibt es einen halbstündigen Film von Guimberteau zu seiner Arbeit. Er heißt “Strolling under the Skin“. Für Interessierte ist er sehr zu empfehlen.